Was bis vor Kurzem undenkbar war, droht diesen Winter einzutreffen: eine Energiemangellage. Was würde ein solcher Fall für die Energieversorgung bedeuten? Und wie hat sich die SWG darauf vorbereitet? Brennende Fragen an Ronny Leuenberger, Leiter Energie + Vertrieb.
Zur drohenden Strom- und Gasmangellage zirkulieren viele Behauptungen und Gerüchte. Für die Bevölkerung ist es schwierig, den Überblick zu behalten. Was raten Sie Ihren Kundinnen und Kunden?
Ronny Leuenberger: Es gibt viele hilfreiche offizielle Informationen. Aber sie sind nicht einfach zu finden. Darum haben wir auf unserer Website eine neue Rubrik «Energiemangellage» aufgeschaltet. Sie enthält neben Erklärungen zum Thema auch zahlreiche Links auf vertrauenswürdige Seiten des Bundes und anderer Organisationen. Ich rate der Bevölkerung, sich dort zu informieren.
Welches falsche Gerücht zur Versorgungslage sollte aus der Welt geschafft werden?
Dass bei einer Strommangellage gleich die Lichter ausgehen. Eine Mangellage liegt vor, wenn nicht mehr genügend Energie zur Verfügung steht, um die Nachfrage zu decken. Sie bedeutet jedoch keinen plötzlichen Versorgungsunterbruch wie bei einem Blackout. Die Versorgung mit Energie funktioniert weiterhin, aber eingeschränkt. Und der Bund ergreift Massnahmen, um sie zu stabilisieren.
Wie wahrscheinlich ist es aus heutiger Sicht, dass eine Strommangellage oder eine Gasmangellage eintrifft?
Das lässt sich schlicht nicht vorhersagen, weil es von zahlreichen Faktoren abhängt: unter anderem von den Aussentemperaturen, vom Verbrauch, von den Energielieferungen aus dem Ausland, vom Füllstand unserer Stauseen und von der Wiederinbetriebnahme französischer Kernkraftwerke. Von allen Faktoren können wir nur einen direkt beeinflussen – den Verbrauch. Darum muss jetzt jede und jeder einen Beitrag leisten und Energie sparen. Beim Strom sollte der Verbrauch etwa zehn Prozent zurückgehen. Denn in einem normalen Winter importieren wir rund zehn Prozent unseres Stroms aus dem Ausland. Wenn wir diese Menge im laufenden Winter nicht benötigen, stehen die Chancen deutlich besser, eine Mangellage und damit einschneidende Massnahmen zu verhindern.
Welche Massnahmen sind das?
Bei einer Strommangellage sieht der Bund ein vierstufiges Vorgehen vor. Wenn eine Massnahme zu wenig bewirkt, tritt die nächste in Kraft. Zuerst erfolgt ein Aufruf zum Strom sparen, danach ein Betriebsverbot für energieintensive, aber nicht zwingend benötigte Stromverbraucher wie Leuchtreklamen oder Saunen. Die dritte Stufe ist noch einschneidender: Unternehmen mit einem hohen Stromverbrauch erhalten eine verbindliche Sparvorgabe. Ihr Strom wird kontingentiert. Und als letzter Schritt verfügt der Bund geplante Netzabschaltungen. Bei sämtlichen Haushalten und Unternehmen wird dann abwechselnd für einige Stunden die Stromzufuhr unterbrochen. Für eine Gasmangellage ist ein ähnliches Vorgehen in vier Stufen geplant. Es gilt also ernst: Wenn wir solche drastischen Massnahmen verhindern wollen, müssen wir alle jetzt Energie sparen.
Wie hat sich die SWG auf die drohende Energiemangellage vorbereitet?
Beim Strom bereiten wir uns für den Ernstfall vor, dass die Organisation für die Stromversorgung in ausserordentlichen Lagen (OSTRAL) tatsächlich Netzabschaltungen verfügt. Die Umsetzung ist nicht trivial, da gewisse besonders wichtige Verbraucher wie die Anlagen der Wasserversorgung von den Netzabschaltungen ausgenommen sind. Deshalb haben wir detaillierte Schaltpläne erarbeitet. Weiter wollen wir sicherstellen, dass die Wasserversorgung sogar bei einem ungeplanten Stromunterbruch mehrere Tage lang weiterfunktioniert. Dazu haben wir Notstromgeneratoren gekauft und machen die Pumpwerke sowie die Steuerungen notstromfähig.
Und welche Massnahmen haben Sie bei der Gasversorgung ergriffen?
Hier hat sich unsere Vorlieferantin, die Gasverbund Mittelland AG, grosse Speicherkapazitäten in Frankreich gesichert. Aus diesem Speicher können wir viel Gas beziehen. In unserem Versorgungsgebiet haben wir Gespräche mit allen industriellen Gaskunden geführt und sie im Detail über die Situation informiert. Jene mit Zweistoffanlagen, die sich neben Gas auch mit Öl betreiben lassen, haben ihre Öltanks gefüllt, um für eine Umschaltung gerüstet zu sein. Zusätzlich zu solchen kurzfristigen Massnahmen arbeiten wir auch an mittelfristigen, um die Versorgungssicherheit zu stärken.
Zum Beispiel?
Um mehr eigenes Biogas zu produzieren und weniger abhängig von Erdgas zu sein, wollen wir unsere Biogas-Aufbereitungsanlage bei der ARA Regio Grenchen intensiver nutzen. Die Idee: Wir beziehen von regionalen Bauernbetrieben Mist und Gülle. Dieses Substrat vergären wir zu Rohbiogas, das wir dann zu Biogas mit Erdgasqualität aufbereiten. Weiter erarbeiten wir ein Projekt, um Blockheizkraftwerke für die Notstromversorgung zu erstellen. So könnten wir im Notfall die wichtigsten Infrastrukturen wie etwa die Wasserversorgung sowie Industriebetriebe weiterhin mit Strom versorgen. Auf politischer Ebene setzen wir uns dafür ein, dass Projekte für die einheimische Stromproduktion rasch deblockiert werden.
Woran denken Sie dabei?
In erster Linie natürlich an Windprojekte wie unseren Windpark auf dem Grenchenberg. Denn Windenergieanlagen produzieren einen grossen Teil ihres Stroms im Winter – also dann, wenn er besonders dringend benötigt wird. Auch Solaranlagen in den Alpen über der Nebelgrenze und weitere Wasserkraftkapazitäten müssen sich schneller realisieren lassen. Dazu braucht es vereinfachte und beschleunigte Bewilligungsverfahren. Die aktuellen Diskussionen im Bundesparlament gehen in die richtige Richtung, damit wir die einheimische Stromproduktion endlich stark ausbauen können.