Wie die meisten Energieversorger in der Schweiz verfügt die SWG bisher über keine eigenen Kraftwerke. Den in Grenchen benötigten Strom kauft sie darum ein. Doch wie läuft diese Beschaffung ab, da die Kundinnen und Kunden zwischen verschiedenen Stromprodukten wählen können? Ronny Leuenberger, Leiter Energie + Vertrieb, erklärt es.
Die SWG bietet ihren Kundinnen und Kunden die drei Stromprodukte Basis, Erneuerbar und Regional an. Wie kauft sie diesen unterschiedlichen Strom ein?
Ronny Leuenberger: Jede produzierte Kilowattstunde Strom besteht aus zwei Teilen – aus der eigentlichen physischen Energie und einem Herkunftsnachweis. Dieser funktioniert wie eine Art Etikette, auf der steht, wie der Strom entstanden ist. Solche Herkunftsnachweise sind nötig, weil man dem Strom nicht ansieht, ob er klimafreundlich in einer Solaranlage oder klimaschädlich in einem Kohlekraftwerk produziert wurde. Bildlich kann man es so beschreiben: Die physische Energie ist immer weiss und die Etikette dazu hat je nach Kraftwerk eine andere Farbe. Bei Wasserkraftwerken könnte sie zum Beispiel blau sein, bei Solaranlagen gelb und bei Windenergieanlagen grün. Für unsere Kundinnen und Kunden kaufen wir die zwei Teile getrennt ein: Wir beschaffen einerseits genügend weissen Strom, um die gesamte Nachfrage in Grenchen zu decken. Und bei den Herkunftsnachweisen andererseits kaufen wir die verschiedenen farbigen Etiketten so ein, wie sie die Kundinnen und Kunden gewählt haben.
Bei wem kaufen Sie die Energie und die Herkunftsnachweise ein?
Zuerst beschaffen wir die physische Energie: den weissen Teil des Stromprodukts. Dazu holen wir bei mehreren Handelspartnern Angebote ein und kaufen die Energie mit dem tiefsten Preis. Für die Herkunftsnachweise gehen wir grundsätzlich gleich vor. Diese Beschaffung erfolgt aber später als bei der Energie. Denn zuerst müssen wir wissen, welches Stromprodukt die Kundinnen und Kunden wählen – welche Farbe die Etikette ihres Stroms haben soll. Die Solarstrom-Herkunftsnachweise für unser Stromprodukt «Regional» beschaffen wir in Grenchen. Dazu kaufen wir den Besitzerinnen und Besitzern von Solaranlagen mit einer Leistung bis 100 kWp den Herkunftsnachweis ab und verwenden ihn für dieses Produkt.
Wie haben die Kundinnen und Kunden die Gewissheit, dass sie wirklich das bestellte Stromprodukt erhalten?
Das von Pronovo im Auftrag des Bundes geführte Nachweissystem garantiert, dass sich jeder Herkunftsnachweis nur einmal verkaufen lässt. Anders gesagt: Die farbigen Etiketten, die nach der Stromproduktion abgetrennt und separat gehandelt worden sind, werden gemäss den Bestellungen der Kundinnen und Kunden an den weissen Strom angehängt. So haben die Kundinnen und Kunden die Gewissheit, dass für sie auch wirklich der bestellte Strom ins Netz eingespeist wurde.
Was bewirkt die Wahl des Stromprodukts?
Unsere Kundinnen und Kunden bestimmen durch ihre Wahl, wessen Etiketten sie kaufen – etwa von einem Kernkraftwerk oder von einem Wasserkraftwerk. So beeinflussen sie die Nachfrage. Wählen beispielsweise viele Leute Solarstrom, wird es finanziell interessant, weitere Solarstromanlagen zu bauen, um zusätzliche gelbe Etiketten anbieten zu können.
Beschaffen Sie die ganze physische Energie für ein Jahr auf einmal?
Nein. Das wäre zu riskant, weil der Preis vorher oder nachher möglicherweise tiefer liegen würde. Stattdessen lautet der Grundgedanke unserer Beschaffungsstrategie, Risiken zu streuen. Das gelingt, indem wir den benötigten Strom für ein Jahr immer verteilt auf drei Jahre einkaufen. Den Strom für 2023 zum Beispiel haben wir 2020, 2021 und 2022 beschafft.
2023 steigen die Strompreise in Grenchen markant. Warum ist das auch beim Standardprodukt aus Wasserkraft so? Die Stromproduktion in Wasserkraftwerken wird ja nicht plötzlich teurer …
Das liegt daran, dass die physische Energie und die Herkunftsnachweise separat gehandelt werden. Der grösste Teil des Energiepreises entfällt auf die physische Energie. Und dieser weisse Teil des Stromprodukts wird an den Strombörsen zu einem Einheitspreis gehandelt, unabhängig von der Produktionsart. Die Kosten für die Herkunftsnachweise – die farbigen Etiketten – kommen dann oben drauf, sind aber vergleichsweise gering.
Wie bildet sich der Einheitspreis an den Strombörsen?
Nach dem sogenannten Merit-Order-Prinzip. Es funktioniert wie folgt: Die Stromproduzenten stellen den Strom zuerst mit jenen Kraftwerken her, welche die tiefsten Produktionskosten haben – etwa mit Wasserkraftwerken. Weil diese Menge aber nicht ausreicht, liefern auch Kraftwerke mit höheren Produktionskosten Strom, bis die Nachfrage gedeckt ist. Das eingesetzte Kraftwerk mit den höchsten Produktionskosten bestimmt dann den Einheitspreis. Zurzeit sind das wegen des rekordhohen Gaspreises die Gaskraftwerke.
Wie kann sich die SWG von den Marktpreisen für Strom unabhängiger machen?
Indem wir einerseits mehr Strom selbst herstellen. Dazu prüfen wir zum Beispiel Beteiligungen an Kraftwerken. Andererseits würden uns Langfristverträge bei der Strombeschaffung unabhängiger von kurzfristigen Preisschwankungen machen. Auch diese Option prüfen wir.