Thomas Strüby, Leiter Infrastruktur+Technologie der SWG, über eine mögliche Stromlücke in der Schweiz.
Seit einigen Monaten spricht die ganze Schweiz von einer drohenden Stromlücke. Geht uns bald der Strom aus?
Thomas Strüby: Im vergangenen Herbst ist eine Studie des Bundes zum Schluss gekommen: Bei einer sehr ungünstigen Konstellation von Produktionsausfällen in der Schweiz und in Frankreich könnte ab dem Jahr 2025 der Strombedarf an einzelnen Tagen im Winter nicht mehr vollständig gedeckt sein. Diese Situation ergibt sich unter anderem dadurch, dass die EU mit der Schweiz ohne Rahmenabkommen auch kein Stromabkommen abschliessen wird. Das macht Stromimporte schwieriger. Ich hoffe, dass die Politik den Weckruf gehört hat und nun rasch die notwendigen Massnahmen beschliesst.
Ist diese Situation eine Folge der Energiestrategie 2050 der Schweiz?
Die Energiestrategie 2050 hat zum Ziel, den Energieverbrauch zu senken und die erneuerbaren Energien zu fördern. Diese Ziele finde ich richtig und wichtig. Auf dem Weg dorthin darf aber die Versorgungssicherheit nicht vergessen werden. Durch den Ersatz von fossilen Energieträgern wie Heizöl oder Benzin steigt der Stromverbrauch. Deshalb sollte zuerst sichergestellt sein, dass die Schweiz auch wirklich über den zusätzlich benötigten Strom verfügt. Die Förderbeiträge des Bundes sorgen zwar dafür, dass neue Produktionsanlagen entstehen. Doch mit geringem Aufwand und ohne Gegenwind lassen sich derzeit nur Solaranlagen realisieren. Und diese allein lösen das Problem nicht. Wasserkraftwerke und Windenergieanlagen hingegen können wegen der hohen Auflagen und der Einsprachen meist auch nach Jahren nicht umgesetzt werden.
Warum besteht die Gefahr einer Stromlücke vor allem im Winter?
Im Winter wird mehr und mehr mit Wärmepumpen geheizt, die auch Strom benötigen und den Bedarf erhöhen. Auf der anderen Seite liefern Wasserkraftwerke und Solaranlagen im Winter viel weniger Strom als im Sommer. Folglich ist der höhere Bedarf durch die in der Schweiz produzierte Strommenge nicht mehr gedeckt. Diese wachsende Lücke muss durch Stromimporte ausgeglichen werden. Doch es ist unsicher, ob unsere Nachbarländer in den kommenden Wintern immer genügend überschüssigen Strom haben, den sie uns liefern können.
Was unternimmt die Schweiz nun?
Die zuverlässige Versorgung mit Strom können die einzelnen Länder in Europa schon lange nicht mehr allein sicherstellen. Der Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage ist eine europäische Herausforderung, die es gemeinsam zu koordinieren gilt. Deshalb wäre das Stromabkommen mit der EU so wichtig. Weil es vorerst vom Tisch ist, schlägt der Bundesrat verschiedene Massnahmen vor, um die inländische Versorgungssicherheit zu stärken.
Welche Massnahmen sind das?
Die bestehenden Förderinstrumente für den Bau von erneuerbaren Produktionsanlagen sollen verlängert werden. Zudem will der Bundesrat die Verfahren für den Bau von Wasserkraft- und Windenergieanlagen beschleunigen. Und der Ausbau der Photovoltaik soll angekurbelt werden, indem sich die Investitionen auch bei Neubauten steuerlich abziehen lassen und das Bewilligungsverfahren für Solaranlagen an Fassaden vereinfacht wird.
Lösen diese Massnahmen das Problem der Stromlücke?
Mittel- und langfristig vielleicht schon. Kurzfristig braucht es wohl einen finanziellen Winterzuschlag für grosse Wasserkraftwerke, den die Betreiber bekommen, wenn sie in ihren Stauseen Wasserreserven für den Winter halten. Auch Gaskraftwerke als Reserve stehen zur Debatte.
Welche Rolle hätte die SWG, wenn beim Strom trotzdem ein Engpass auftreten sollte?
Bei einer Strommangellage ordnet der Bund Massnahmen an, die das Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch sicherstellen sollen. Um die Konsequenzen für die Bevölkerung und die Wirtschaft möglichst gering zu halten, kommt es zunächst nur zu kleineren Verbrauchseinschränkungen. Zeigen sie nicht die gewünschte Wirkung, ist eine Kontingentierung der Energie möglich und erst als letzter Schritt eine vorübergehende Netzabschaltung. Dabei spielen die Betreiber der lokalen Verteilnetze, zu denen auch wir gehören, eine zentrale Rolle. Denn nur sie können die angeordneten Massnahmen in den Städten und Gemeinden umsetzen.
Wie bereitet sich die SWG auf eine Strommangellage vor?
Wir erarbeiten für Grenchen zurzeit ein Konzept «Stromversicherung». Unsere Idee ist, eine Notstromversorgung mit Blockheizkraftwerken zu erstellen. So könnten wir im Notfall die wichtigsten Infrastrukturen wie etwa die Wasserversorgung sowie Industriebetriebe weiterhin mit Strom versorgen. Blockheizkraftwerke liefern neben Strom zusätzlich Wärme, die wir zum Heizen in ein Wärmenetz einspeisen könnten. Einen wesentlichen Beitrag gegen die Winterstromlücke wird auch der Windpark auf dem Grenchenberg leisten. Denn Windenergieanlagen produzieren einen grossen Teil ihres Stroms im Winter – also dann, wenn er in den kommenden Jahren besonders dringend benötigt wird.